Keine zweite Rheinbrücke, Nordtangente und Querspange!

Vergangenes Wochenende haben wir es uns zur Aufgabe gemacht, ein altes Mahnmal gegen den Straßenbau wiederzubeleben. Im Hardtwald steht ein altes Schild, dass seit über 40 Jahren gegen die Nordtangente steht. Es wurde von den Hardtwaldfreunden und der Bürgerinitiative gegen die Nordtangente aufgestellt, um auf die damals geplante Zerstörung des Hardtwaldes zugunsten des Baus einer neuen Schnellstraße aufmerksam zu machen und steht seit dem für Proteste gegen Umweltzerstörung durch Straßenbau. Viele Leute in Karlsruhe kennen dieses Schild und seine Bedeutung. Wir haben es nun etwas wiederbelebt und ergänzt, da das Thema Nordtangente wohl noch nicht ganz vom Tisch ist.

Die Nordtangente, es klingt fast wie eine Sage, wenn man von ihr spricht. Eine Straße, die viele Karlsruher:innen kennen, obwohl es sie gar nicht gibt, denn sie wurde nie ausgebaut – bis jetzt. Die geplante Nordtangente sollte die B10 vom Kreuz Durlach bis zum Rhein/zur geplanten zweiten Rheinbrücke führen und damit als Umfahrung der Stadt dienen. Der Plan, der vorsah eine Schneise in den Hardtwald südlich von Hagsfeld, Waldstadt und Neureut zu schlagen, bestand quasi schon vor hundert Jahren und wurde schließlich 1961 (genauso wie die jetzt bestehende Südtangente) genehmigt. Im Oktober 1979 wurde die Nordtangente inklusive dem Hardtwald-Durchschnitt imGemeinderat beschlossen, die Planungen waren abgeschlossen. Doch bald haben sich Proteste von Umweltschützer*innen laut gemacht, da die neue Schnellstraße den Verlust von einigen Hektar Wald mit sich ziehen würde. Eine Änderung oder Abkehr der Pläne zugunsten des Umweltschutzes wurde gefordert. In diesem Zuge wurden zwei Schilder in den Hardtwald in der Nähe von Neureut und der Waldstadt, wo die Trasse den Hardtwald zerteilen würde, gestellt. 1982 wurden neue Pläne gemacht, eine „Hängebauchlösung“ über den Adenauerring, die wiederum verworfen wurden. Mit Verwurf dieser Pläne, lies man vorerst von der Nordtangente ab. Der erste Abschnitt zwischen Grötzinger Straße (bei Durlach) und Elfmorgenbruch (Landschaftsschutzgebiet) wurde jedoch gebaut und 2009 fertiggestellt.

2017 beantragte die Stadt Karlsruhe, die Trasse für den Ausbau nicht weiterhin freizuhalten – bis auf kleine Abschnitte. Darunter der westliche Trassenabschnitt, der für den Bau einer zweiten Rheinbrücke mit Anbindung an die B36 erforderlich ist.

Nun verdichten sich die Zeichen für den Ausbau der zweite Rheinbrücke. Ist damit die Nordtangente wirklich vom Tisch, verbannt in einen alten Aktenordner oder ist sie immernoch eine attraktive„europäische Ost-West-Achse“? Klar ist – mit der Querspange zur B36 wird ein weiterer kleiner Teil der Nordtangente ausgebaut. Und dies gilt es dringend zu verhindern. (Mehr zur Nordtangente: www.nordtangente-karlsruhe.de)

Eine zweite Rheinbrücke bei Karlsruhe?!

Begonnen hat jedoch alles schon viel früher, vor über 20 Jahren. In den Jahren 1998 und 1999 wurde eine Machbarkeitsstudie für eine zweite Rheinbrücke im Raum Karlsruhe erstellt, inklusive ökologischer Risikoabschätzung. Es folgte eine Umweltverträglichkeitsstudie, ein Linienfeststellungsverfahren, ein Vorentwurf und 2011 dann der Beginn des Planfeststellungsverfahrens. Dieses endete schließlich 2017 – worauf dann Klagen gegen ebenjenes erfolgten, die jedoch keinen fundamentalen Erfolg erzielten und 2020 schließlich abgeschlossen waren.

Von nun an führte der Bund als Baulastträger, vertreten durch den Landesbetrieb Mobilität Rheinland-Pfalz, die Planung fort, sodass aktuellen Berichten zufolge 2027 mit dem Bau begonnen werden soll.

Hintergrund für die Bemühungen zum Bau einer zweiten Rheinbrücke sind prognostizierte Verkehrsaufkommen von bis zu 100.000 Fahrzeugen, die den Rhein im Jahr 2025 pro Tag überqueren sollen. Und tatsächlich staut es sich schon jetzt im morgendlichen Berufsverkehr in Richtung Karlsruhe.

Die Ursache ist allerdings nicht die, die man vermuten würde. In der Realität passieren deutlich weniger Autos die Brücke als vorhergesagt, der Anstieg blieb aus. Seit 2005 sind es stabil um die

70.000 Kfz pro Tag, in den Corona-Jahren sogar beinahe 10.000 weniger. Diese Menge an Verkehr kann die bestehende Rheinbrücke jedoch bewältigen, stellt nicht nur der Bundesrechnungshof in seiner Prüfung des Sachverhalts im Jahr 2014 fest. Selbst in der Planung für die zweite Brücke wird damit gerechnet, dass der Neubau lediglich um die 25.000 Fahrzeuge bewältigt – die restlichen 75.000 Autos und LKW würden also weiterhin über die bestehende Brücke fahren. Die bestehende Rheinbrücke ist also nicht der Grund für die allmorgendlichen Staus. Dies ist stattdessen das städtische Straßennetz, dass schlichtweg überlastet ist. Vor allem kurz nach der Brücke; dort verengen sich drei Fahrspuren auf zwei, wodurch sich der Verkehr auf der B10 bis auf die Pfälzer Seite zurückstaut. Die zweite Rheinbrücke mit der geplanten Anbindung, dersogenannten B293, an die B10 hinter diesem als „Knielinger Pförtner“ bezeichneten Flaschenhals würde die Stausituation somit gar nicht lösen können, sondern würde diese sogar noch weiter verschärfen, was auch in einer Verkehrssimulation gezeigt werden konnte. Eine Beseitigung dieses Nadelöhrs hingegen könnte die Staus deutlich verringern und wird daher auch bereits geplant.

Der Fokus hierbei auf den Individualverkehr zu legen ist natürlich naheliegend – kann allerdings auch ein Holzweg sein. Denn paradoxerweise führt der Bau von mehr Straßen nicht unbedingt zu weniger Stau. Dies liegt daran, dass Neubauten oft auch mehr Verkehr verursachen, indem sie Ausweicheffekte zum Teil rückgängig machen: Menschen, die zuvor zum Beispiel mit dem ÖPNV oder zu anderen Uhrzeiten unterwegs waren, nehmen nun wieder das Auto zur Berufsverkehrszeit, da es ja weniger Stau gibt. Das Ergebnis ist, wie auch oben beim Neubau einer zweiten Rheinbrücke geschildert, ein ähnliches oder gar höheres Stauaufkommen.

Zu Zeiten des Klimawandels ist dieser Fokus auf das Auto besonders fatal, denn der (motorisierte) Individualverkehr ist im Vergleich zu seinen Alternativen besonders ressourcenintensiv. Nicht nur der CO2-Ausstoß ist enorm hoch, auch der Flächenverbrauch ist ein Vielfaches von dem, was Bus und Bahn für den Transport der selben Menge an Menschen benötigen würden. So müssten auch für den Bau der zweiten Rheinbrücke auf Karlsruher Seite Wald, Wiesen und Habitate gerodet und auf Pfälzer Seite sogar ein Vogelschutzgebiet durchschnitten werden. In Anbetracht der sich verschärfenden Klimakrise und dem damit einhergehendem Verlust der Biodiversität wäre dies ein weiteres fatales Ereignis für den Umweltschutz.Zwar werden in dem Versuch, die Umweltzerstörung zu minimieren, sogenannte Ausgleichsflächen geschaffen, wie in diesem Fall unter anderem die Entsiegelung des alten NATO-Tanklagers bei Phillipsburg-Huttenheim. Allerdings sind diese Ausgleichsmaßnahmen in der Regel nicht von der selben Qualität für Umwelt und Klima wie die für den Straßenbau zerstörte Natur und können somit keine echte Kompensation darstellen.

Nun stellt sich die Frage, wer bei dieser erdrückenden Faktenlage überhaupt ein Interesse an dem Fortbestand der Planungen oder gar einer Umsetzung dieses Projektes haben könnte.

Verfolgt man die Medienberichte zu diesem Thema, so wird man nicht verpasst haben, dass die Bürger:innen auf der Pfälzer Seite dem Bauvorhaben eher wohlgesonnen gegenüberstehen. Sie erhoffen sich von der zusätzlichen Brücke Entlastungen der überstrapazierten Straßen nach Karlsruhe. Diese Versprechung ist allerdings, wie oben ausführlich erläutert wurde, eine leere. Die zusätzliche Brücke würde das Problem nicht lösen, sondern verschärfen – ein Stärkung von Bus und Bahn könnte stattdessen eine echte Lösung sein. Genau hier ist jedoch der wunde Punkt: der ÖPNV ist auf Pfälzer Seite derart unterirdisch ausgebaut, dass viele Beschäftigte auf das Auto angewiesen sind, um zur Arbeit zu kommen. So ist z.B. die Bahnstrecke hinter Wörth nur eingleisig ausgebaut und noch nicht einmal elektrifiziert.

Dies ist das Ergebnis einer jahrzehntelangen Verkehrspolitik, die den automobilen Individualverkehr und mit ihm die Konzerninteressen der Autoindustrie im Fokus hat. Eine Verkehrspolitik, wie sie nur zu gut vom jetzigen Bundesverkehrsminister, Volker Wissing von der FDP, verkörpert wird. Wissing setzt sich stark für den Bau der zweiten Rheinbrücke ein, nennt den Erlass des Planfeststellungsbeschlusses einen „echte[n] Durchbruch“. Dass es ihm allerdings nicht um die Pendler:innen geht, wird schnell deutlich. Er gibt selbst zu, dass die Brücke vor allem aus wirtschafts- und industriepolitischer Sicht wichtig ist, nämlich für die Unternehmen in der Pfalz. Das passt gut, denn sein Wahlkreis, Nummer 211, ist gerade die Südpfalz.

In dieser Region hat unter anderem Daimler einen Sitz, nämlich in Wörth, nahe am Rheinufer. Daimler will die Brücke haben, und das möglichst schnell, lässt der Konzern auf seiner Webseite wissen. Bei der Politik scheint der Konzern damit offene Türen eingerannt zu haben, zumindest würde das erklären, warum ein ca. 300m langes Stück öffentlicher Straße, die K25, „verlegt“, also abgerissen und neu gebaut wird, um eine eigene Anbindung an das Werk umzusetzen. Aber damit nicht genug: Die Linienführung wurde noch einmal geändert, also der Verlauf einer Straße im Plan verschoben, um nicht zuletzt einen günstigeren logistischen Ablauf bei Daimler zu ermöglichen.

Doch Daimler ist nicht das einzige Unternehmen, das von einem Bau einer zweiten Rheinbrücke profitieren würde. Um ihre Interessen besser durchsetzten zu können und sich mehr Gehör in der lokalen Politik zu verschaffen, schlossen sich Ende 2015 Vertreter von Siemens, Stora Enso, der MiRO und dem Daimler Werk Wörth in einem Verein namens „Pro2“ zusammen. Dass es mit dem vorgeschobenen Argument von besseren Anfahrtsbedingungen für die pendelnden Arbeiter:innen nicht weit war, ließ der Pressesprecher Peter Hauck durchblicken: Die zweite Rheinbrücke würde Sicherheit dafür bieten, dass auch im Falle einer Vollsperrung der bestehenden Brücke alle betrieblichen Abläufe eingehalten werden können. Mit diesem Lobbyvorhaben für eine externalisiert Risikovorsorge scheinen sie der eigenen Meinung nach Erfolg gehabt zu haben, zumindest legt das die Auflösung des Vereins Anfang August diesen Jahres nahe.

In Karlsruhe ist die Stimmung jedoch eine andere. So zeigten Bürger:innen bei einer Bürgerveranstaltung zum Thema zweite Rheinbrücke im Oktober 2022 deutlich ihre Meinung.Bereits vor dem Halleneingang wurden Transparente aufgespannt und Flyer verteilt. In der Halle selbst wurde in der Fragerunde deutlich, dass die überwiegende Mehrheit der Anwesenden gegen den Bau der zweiten Rheinbrücke ist.

Auch die Stadt selbst steht dem Neubau kritisch gegenüber und reichte eine Klage gegen den Planfeststellungsbeschluss ein. Die Alternativen Optionen seien nicht ausreichend in Betracht gezogen worden und außerdem löse eine zweite Brücke das Stauproblem ohnehin nicht, so ihre Kritikpunkte.

Auch der BUND Baden-Württemberg reichte eine Klage ein, allerdings mit etwas anderer Stoßrichtung: Im Planungsprozess sei nicht genug auf den Natur- und Artenschutz geachtet worden, die Gutachten teilweise mangelhaft und die geplanten Maßnahmen nicht ausreichend. Beiden Klagen wurde so nicht stattgegeben, sie endeten in einem Vergleich mit dem Land Baden-Württemberg.

Viel zu beklagen hat auch der Bundesrechnungshof, der 2014 in einer Prüfung des Vorhabens feststellen musste, dass ein Neubau „unnötig“ ist. Die bestehende Rheinbrücke sei leistungsfähig genug. Das Argument, dass die Brücke zur Staureduzierung beitrage, sei im besten Fall heiße Auspuffluft, sehr wahrscheinlich ist aber sogar das Gegenteil wahr. Als wäre das nicht schon genug, stellt der Bundesrechnungshof zudem fest, dass die Brücke und die anschließende B293 eine Fernverkehrsrelevanz von nur um die 5% hat, wodurch er die Rechtmäßigkeit einer Finanzierung durch den Bund als nicht gesichert ansieht.

Gegen den Bau der zweiten Rheinbrücke haben sich auch etliche Verbände und Bürgervereine in Karlsruhe positioniert. Einen Brief mit Fragensammlung und der Aufforderung zu einem Planungsstopp schrieben im April diesen Jahres 16 von ihnen. Darunter sind die Naturfreunde, der BUND, die Hardtwaldfreunde, der Bürgerverein Neureut-Heide, der Bürgerverein Knielingen, das Klimabündnis und viele mehr.

Eine Reicht!

Eine Reicht ist eine junge Initiative, die sich gegen den Ausbau der Zweiten Rheinbrücke stellt. Für uns ist die geplante zweite Autobrücke über den Rhein bei Karlsruhe, in Sichtweite der bestehen, ein Ausdruck der fatalen Verkehrspolitik in Deutschland. Ohne Bedarf und ohne Rücksicht auf Verluste sollen hier veraltete Pläne umgesetzt werden, die eine autozentrierte Verkehrspolitik auf Jahrzehnte zementierten.

Die Brücke würde auf Pfälzer ein Vogelschutzgebiet zerstören, bei Karlsruhe würde ein beliebtes Naherholungsgebiet am Rhein verloren gehen. Für die Menschen in Neureut und Knielingen bedeuten Brücke und Querspange mehr Verkehr, Lärm und Abgase. Den Pendler*innen aus der Pfalz hingegen, zentrales Argument für den Brückenbau, würden die morgendlichen Staus auch mit der Brücke nicht erspart bleiben. Auch nach den offiziellen Verkehrssimulationen ist hier keine Entlastung zu erwarten.

Einzig der Daimler-Konzern, der sich eine ausfallsichere Anbindung seines großen Werks bei Wörth wünscht, würde profitieren. Besonders in Zeiten der Klimakrise kann das kein Argument sein, um auf Kosten der Allgemeinheit neue Straßen zu bauen, Umwelt zu zerstören und noch mehr CO2 auszustoßen.

Eine Reicht fordert deswegen:

→ Planungsstopp für Brücke und Querspange und stattdessen

→ Investition in den ÖPNV – Echte Verkehrswende statt Weiter-so!

Mehr zur Initiative Eine Reicht: 1reicht.de

Deutschland Autoland

In der Bundesrepublik sind besonders Verkehrspolitik und Automobilkonzerne eng verzahnt. Man beobachtet regelmäßig wechselnde Posten von Politikern in den Aufsichtsrat in der Automobilbranche. Das ist auch nicht verwunderlich, schließlich will der Staat eine seiner Schlüsselindustrien am Laufen halten um auf der Vormachtstellung zu bleiben. Und um die tonnenschweren Stahlklotze und ihre Produktion auch rollen zu lassen, braucht es auch mehr Straßen. Da stellt sich Volker Wissing auch gerne an den Rhein und erklärt den Ausbau zur Chefsache. Wir müssen uns klar gegen die wahnwitzigen Verkehrsprojekte der Bundesregierung, die rein aus Kapitalinteressen geschehen, stellen. Wir brauchen keine weiteren Straßen und mehr Brücken – wir brauchen eine faire, kostengünstige Mobilität für alle.

Kommt zum Protestcamp vom 29.9. bis 3.10. am Pionierhafen!

Eine Reicht!

Der Artikel erschien zuerst auf der Seite des Antikapitalistischen Klimatreffen Karlsruhe am 27.09.2023.


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